Im Westen der Balearen-Insel Mallorca führen Wanderwege durch Orangenhaine und Olivenplantagen, in kleine Badebuchten und zu urigen Gasthöfen.

Schafe auf der Flucht

Das Schaf ist entkommen! Zottige Wolllappen schlackern ihm um Kopf und Vorderteil, während hinten nackte Haut zu sehen ist – der Scherer muss einen Moment unaufmerksam gewesen sein. Ein großer Haufen Wolle liegt am Rande des Wanderwegs nahe dem Dörfchen Orient. Noch traumatisiert von der jährlichen Prozedur, ergreifen nackte Schafe und ihre Lämmer vor uns die Flucht.

Olivenplantagen prägen die Landschaft des UNESCO Weltkulturerbes

Der Pfad zum Kastell von Alaró führt zunächst durch Olivenhaine. Keine akkurat gestutzten, geradlinigen Baumreihen, sondern beeindruckende Solitäre: wuchtige, knorrige Strünke, manche geborsten und verdreht, andere zerlöchert und vernarbt. Einige sind umgestürzt und von Moosen und Flechten bedeckt, andere mehrere Meter dick oder aus zwei Stämmen zusammengewachsen. 

Überall in der Sierra Tramuntana, Mallorcas bis zu 1.445 Meter hohem Gebirge im Inselwesten, bedecken Olivenplantagen die Hänge, einst in schwerer Arbeit auf Terrassen und zwischen Natursteinmauern angelegt und geschickt bewässert. Diese über Jahrtausende gewachsene Kulturlandschaft war der Grund für die UNESCO, die Bergwelt 2011 zum Weltkulturerbe zu erklären.

Wanderrouten von einfach bis anspruchsvoll

Wanderer finden hier die unterschiedlichsten Reviere – von der kleinen Insel Sa Dragonera im Süden über das Tal von Sóller mit seinen Orangenplantagen bis zum schroffen Kap Formentor im Norden. Es gibt gemütliche Touren zu Badebuchten, historische Wanderungen wie den einstigen Reitweg des Erzherzogs Ludwig Salvator, anspruchsvolle Tagestouren wie den Abstieg in die Schlucht Torrent de Pareis und Trekkingstrecken wie die „Trockensteinroute“.

Von Einsamkeit und bissigen Eseln

Als wir höher steigen, durchqueren wir einen Kiefernwald, später folgen schattige Steineichen. Das Zirpen der Grillen klingt wie ein Konzert von Kreissägen. Doch wir begegnen keinem einzigen Menschen. Einsamkeit auch auf dem Gipfel, wo die halb verfallenen Mauern und Türme der Festung von Alaró am Abgrund kleben. Im 10. Jahrhundert eroberten Mauren das schwer einnehmbare Kastell, 300 Jahre später war es Schauplatz eines spanischen Thronfolgestreits. 

Nur wenige Meter weiter liegt die Wallfahrtskapelle Nostra Senyora del Refugi. Wacklige Tische stehen auf der Terrasse mit weitem Blick über die Insel, zu genießen bei kalten Getränken und scharf gewürzten Oliven. „Vorsicht, bissige Esel!“ warnt ein Schild vor den Packtieren, die den kleinen Gasthof hier oben mit Nachschub versorgen.

Ein gepflasterter Treppenweg führt weiter zu einer der originellsten – und umstrittensten – Gaststätten Mallorcas: „Hygienisch bedenklich, unfreundliches Personal“, schimpfen einige in den Internetforen über die Schafsfarm Es Verger, wo die Tiere manchmal zwischen den Tischen herumlaufen. „Das beste Lamm der Insel“, schwärmen andere – zu Recht, das Fleisch zergeht auf der Zunge.
Wer auf Mallorca wandert, kann die Bergwelt exklusiv genießen. Mit kleinen Hindernissen: Hin und wieder muss man Zäune mit Hilfe von Leitern übersteigen, Viehgatter durchqueren. Das meiste Land befindet sich seit Jahrhunderten in Privatbesitz. Nicht jeder Eigentümer erlaubt Wanderer auf seinem Grund – immer wieder ein Anlass zu Konflikten, wenn sich Besitzverhältnisse ändern.

Kalköfen und Kohlemeiler

Privates, aber öffentlich zugängliches Gelände erwartet uns auch auf dem Cami des Grau, einem Rundwanderweg ab dem Städtchen Bunyola. Der verwunschene Steineichenwald wurde einst intensiv bewirtschaftet. Schon kurz hinter dem Ortsausgang stehen wir am ersten von vielen Kalköfen: mehrere Meter tiefe, kreisrunde Löcher, die Wände bedeckt mit weißen Kalkresten. Die Kohle zum Befeuern wurde in Meilern gewonnen, deren Sockel überall im Wald zu sehen sind. Moosige, verwitterte Steine markieren die Wasserreservoirs und Fundamente der Köhlerhütten.

Immer wieder öffnet sich zwischen den Bäumen ein Fenster zum Tal von Orient, rote Felswände glühen wie in amerikanischen Canyons. 30 Grad zeigt das Thermometer heute, doch im Steineichenwald macht eine kühle Brise das Laufen angenehm. Der Ort kündigt sich schließlich mit einer Finca an, deren Haus in eine Grotte gebaut wurde. Pferde und Kühe weiden unter Felsklippen, Feigen- und Pflaumenbäume hängen voller Früchte.
Die Straßen Bunyolas sind bei unserer Ankunft verlassen, nur am Hauptplatz tobt das Leben: In zwei benachbarten Bars diskutieren die Männer, Schüler sitzen vor einer Limonade, ältere Damen – frisch frisiert und in Blusen mit großformatigen Blumenmustern – plaudern bei Bier und Bitter Lemon. Ausländer verirren sich mangels Sehenswürdigkeiten selten hierher, als Wanderer sind wir mitten drin im mallorquinischen Leben.

INFORMATIONEN

Reisezeit: Die ideale Zeit zum Wandern liegt im Frühjahr (März bis Mai) und Herbst (ab September). Sonnenschutz, viel Wasser und eine Jacke für Wetterumschwünge sollten mit im Gepäck sein. Im Winter (November bis März) regnet es häufig bei teilweise kalten Temperaturen. In den Sommermonaten Juli und August steigen die Temperaturen in der Regel auf über 30 Grad – Touren im Schatten sind aber trotzdem angenehm zu begehen.

Unterkunft: Hotel Nord, gemütliches Landhotel mit acht Zimmern im Herzen des Dorfes Estellencs, DZ inkl. Frühstück ab 105 Euro, Tel. +34-971-149006, www.hotelruralnord.com.
Ca’n Reus Hotel, Boutique-Hotel in Fornalutx, einem der schönsten Bergdörfer, mit Terrasse und Pool, DZ ab 130 Euro inkl. Frühstück, Tel. +34-971-639866, www.canreushotel.com.

Unsere Literaturempfehlung: 

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