Testosteron-Ersatztherapie: Bei Männern jenseits der 50, deren Lebenslust erlahmt, propagieren Ärzte die Verabreichung von Sexualhormonen, z.B Testosteron. Nützt das wirklich? Die langfristigen Risiken der Substitutionsbehandlung sind noch kaum erforscht.

Der Stoff bewirkt im Manneskörper wahre Wunder

Testosteron, das wichtigste der männlichen Sexualhormone (Androgene), kurbelt das Liebesleben an, macht Knochen hart wie Kruppstahl, lässt Muskelpakete schwellen und Konkurrenten alt aussehen. Doch wehe, wenn der Traumstoff versiegt, wie etwa bei Patienten, deren Hoden durch Unfall oder Krebs geschädigt sind. In solchen Fällen erleben sich Männer nur noch als schlaffes Abbild ihrer selbst. “Ich schleppte mich müde durch die Tage”, erinnert sich einer der Betroffenen, “mein Leben war nichts mehr wert. Auch ins Bett legte ich mich nur noch zum Schlafen.”

Auch beim gesunden Mann sprudelt der hormonelle Kraftquell mit zunehmendem Alter spärlicher

Seit etwa zehn Jahren besitzt die Hormonabflachung des alternden Mannes unter Medizinern und Halbmedizinern einen klingenden Namen: “Klimakterium virile”; andere Experten sprechen von der “Andropause” oder dem “Partiellen Androgen-Defizit des alternden Mannes”, kurz “Padam” genannt. Derlei Befunde müssen als Erklärung für vieles herhalten, das im Leben von über 50-Jährigen Rätsel aufgibt: den Drang verfetteter Graumelierter zum Porsche ebenso wie ihre leicht verkrampfte Liebesaffäre mit der Schreibkraft im Büro.

Seit 1998 der erste Weltkongress über die Probleme des alternden Mannes in Genf stattfand, steht das Thema bei vielen Medizinerkonferenzen im Mittelpunkt. Internationale Fachgesellschaften widmen sich der Erforschung der hormonellen Misere beim “aging male”.

Lifestyle- und Managermagazine propagieren die hormonelle Frischekur für den Mann ab 50

Boulevardblätter verraten, was gegen die Ebbe im Hormontank zu unternehmen sei: “Nachkippen”. “Immer mehr Männer”, so die Blätter, “nutzen Testosteron als Jungbrunnen, der Trend schwappt aus den USA zu uns.”

Anti-Aging-Kliniken haben auch in Deutschland den Kampf gegen die “Androgen-abhängigen Beschwerden” des alternden Mannes aufgenommen. Sogar vor der hormonellen Mega-Berieselung zeigen einige Verfechter keine Scheu.

Alle Welt spricht mittlerweile von den “männlichen Wechseljahren”

Über zwei Drittel der 40- bis 70-Jährigen sind laut einer Emnid-Umfrage von der Existenz des hormonellen Durchhängers jenseits der 50 überzeugt. Ob es aber den behaupteten Hormoneinbruch beim Mann, “analog zur weiblichen Menopause”, wirklich gibt, ist unter Medizinern und Wissenschaftlern umstritten. Denn während das weibliche Klimakterium endokrinologisch einem Absturz ähnelt, bei dem die Östrogenproduktion in den Eierstöcken binnen kurzer Zeit nahezu vollständig versiegt, gleicht das Nachlassen der Testosteron-Ausschüttung beim alternden Mann eher einem sanften Sinkflug: Die Produktion des männlichen Powerhormons sinkt vom vierten Lebensjahrzehnt an um jährlich etwa ein Prozent.

Auch 80-Jährige haben noch halb so viel freies Testosteron im Blut wie Männer um die 30

Selbst im biblischen Alter von 80 oder gar 90 Jahren reicht die hormonelle Ausstattung des “aging male” mitunter noch aus, um mit der jungen Geliebten für Nachwuchs zu sorgen. Der durch Studien belegte Nutzen des Testosteron-Ersatztherapie (Hormonersatzes) beim Mann beschränkt sich auf jene Fälle, in denen krankheitsbedingt der Testosteronspiegel zu niedrig ist. Männer mit alterstypisch sinkendem Testosteronspiegel dagegen profitieren von der Substitution so gut wie nie. Den Grund sehen die Mediziner in einem “Ceiling-Effekt”: Wenn altersgemäß genügend freies Testosteron durch die Adern flutet, bringt der von außen zugeführte Zauberstoff nichts; die Rezeptoren für das Hormon sind besetzt, zusätzliche Powermoleküle können nicht andocken, ihre Wirkung verpufft.

Sichtbare äußere Wohltaten der Testosteron-Ersatztherapie ändern an dieser Einschätzung wenig

Das Männlichkeitshormon ist in jedem Fall ein Anabolikum; wer es schluckt oder regelmäßig gespritzt bekommt, wird ein paar überflüssige Pfunde um die Hüften los, der Körper baut unter der Adonisdroge bis zu zwei Kilogramm fettfreie Muskelmasse auf. Aber die Muskelkraft wird dadurch nicht größer. Auch die körperliche Leistungsfähigkeit erhält nicht den ersehnten Schub. Gleichwohl haben es Geschäftemacher leicht, die Grenzen zwischen sinnvoller Indikation und purer Augenwischerei zu verschieben. Denn wo der normale oder gar optimale Testosteronwert beim einzelnen Patienten liegt, wissen auch die Mediziner kaum. Sie haben sich willkürlich auf drei Nanogramm Testosteron pro Milliliter Blut als unteren und zwölf Nanogramm als oberen Normwert geeinigt. Zur Unsicherheit trägt bei, dass sich der jeweils gemessene Spiegel nur schwer deuten lässt.

Die Konzentration des männlichen Sexualhormons folgt einem Tagesrhythmus

Am Morgen erreicht der Hormonspiegel seinen höchsten Stand. Bis zum Abend flacht die Kurve – bei jung und alt – merklich ab. Auch stoßweise wird der Stoff ins Blut gepumpt. Auf situative Reize wie die tief ausgeschnittene Bluse der Tischnachbarin reagiert das Hormonsystem blitzschnell: Die Testosteronproduktion steigt innerhalb von Sekunden oder Minuten auf Spitzenwerte; zupft die eigene Frau von hinten am Jackettärmel, fällt sie ebenso rasch wieder auf den normalen Pegel zurück. Bei Verheirateten sinkt der Testosteronspiegel. Nach der Scheidung steigt er wieder. Auch jahreszeitlichen Schwankungen, mit Spitzenwerten in den Herbstmonaten, sind die Hormonforscher auf der Spur.

Faustregeln für den Testosteronbedarf lassen sich kaum formulieren, weil jedem eine andere Menge des Powerhormons zum Glücklich sein genügt. “Einige leben prächtig mit zu niedrigen Testosteronwerten”, erklärt Schulze, “andere fühlen sich schlapp, bringen im Bett nichts mehr zu Wege.”

Testosterongaben können der Leber schaden

40 bis 80 Prozent der Testosteron-Ersatztherapien (Hormongaben) werden durch stressreiche Zusatzarbeit des Stoffwechselorgans aus dem Körper eliminiert, noch ehe die Substanz ihren physiologischen Einsatzort erreicht. Testosteronpflaster sind mit resorptionsfördernden Hilfsstoffen gespickt, die in 25 Prozent der Fälle Hautirritationen hervorrufen. Testosteroninjektionen führen häufig zu einem Jo-Jo-Effekt: Am Beginn der Spritzenkur flutet das Hormon in “supraphysiologischen” Dosen an, nach zwei oder drei Wochen ist nur noch wenig Wirkstoff im Blut. Die Psyche der gedopten Opfer fährt Achterbahn.

Bei Testosterongels kann der Wirkstoff beim Hautkontakt mit der Partnerin vagabundieren

Frauen in Frankreich klagten nach unfreiwilligen Übertragungen des Männlichkeitshormons über Bartwuchs und andere Virilisierungserscheinungen. Bei Schwangeren birgt die unverhoffte Hormondosis eine Gefahr für den Fötus. Noch stärker als um die unmittelbaren Nebenwirkungen sorgen sich kritische Mediziner um die – noch weitgehend unerforschten – Langzeiteffekte der Hormondusche. Die Langzeitwirkungen sind bisher noch nicht ausreichend bekannt.

Als Viagra für den ganzen Körper scheidet die Substitutionstherapie schon jetzt aus

Gegen Erektionsprobleme hilft eine Testosteron-Ersatztherapie so gut wie nie. Schuld an der erektilen Dysfunktion älterer Herren ist nicht das Leck im Boden des Testosterontanks, sondern fast immer der bei Tisch erworbene Altersdiabetes, die Gefäßverkalkung oder das Medikament gegen den Bluthochdruck. Für den sexuellen Kick im Bett sorgen nicht Wunder-, sondern altbewährte Hausmittel. An einem davon hegen auch Hormonforscher keinen Zweifel. “Man muss eine Frau haben, die man wirklich begehrt.” Eine Testosteron-Ersatztherapie ist somit eher unnötig.